Die drei Leben des Otto Kolmsee

Die drei Leben des Otto Kolmsee

Der ehemalige Kapellmeister des Circus Krone beeinflusste nachhaltig die Blasmusik in der Region

Da mag ich bleiben“, soll Elli Kolmsee zu ihrem Otto gesagt haben, als beide auf der B 20 gen Bayerischen Wald fuhren und Schloss und Kirche von Steinach auf den ersten Vorwaldhügeln sichtbar wurden. Sie kamen von München, wo Otto eben seine Tätigkeit als Kapellmeister des Circus Krone wegen Umstellung auf Konservenmusik beendet hatte. Das war Anfang der 80er-Jahre. In Steinach gab es in diesen Zeiten bereits den Steinacher Singkreis, dessen Leiter zu Kolmsee Kontakt aufnahm. Und schon 1981 konnten die „Singbergmusikanten“ des Otto Kolmsee, damals noch als Abteilung des Steinacher Singkreises, beim Festzug der Schützenfahnenweihe durchs Dorf ziehen.

Doch wie kam es zum Umzug des Ehepaares Elli und Otto Kolmsee ins niederbayerische Steinach? Auf-schluss gibt ein Interview des Kapellmeisters Otto Kolmsee vom Circus Krone.

1979 prophezeite er über den weiteren Weg der Zirkusmusik bei Krone: „Wir gehen sicher denselben Weg wie die Eisrevue. Da ist man auch zuerst Sturm gelaufen gegen die Musik vom Band, die natürlich billiger für den Veranstalter ist als ein Orchester. Heute hat man sich schon daran gewöhnt. Ich gebe den Zirkuskapellen vielleicht noch fünf oder sechs Jahre, dann hören wir bei uns nur noch Musikkonserven.“

 

Die Voraussage Kolmsees schien sich in den Folgejahren zu bestätigen. Allerdings lehnte die Direktorin Frieda Sembach-Krone im gleichen Interview wie Kolmsee noch 1979 einen Verzicht auf das Zirkusorchester mit folgenden Worten rigoros ab: „Der Zirkus hat seine eigene Atmosphäre, nicht zuletzt durch die live gespielte Musik. Wir akzeptieren die Technik, soweit sie artistische Leistungen fördert und attraktiver macht. Wo sie Atmosphäre zerstört, und das würde geschehen, wenn es morgen kein Zirkusorchester mehr gäbe, lehne ich die Technik ab.“

Nur ein knappes Jahr später waren diese Grundsätze bereits über Bord geworfen, und der Circus Krone folgte als erster deutscher Großzirkus dem Beispiel Althoffs und ersetzte sein Orchester zu Beginn der Sommersaison 1980 durch Musik vom Band. – Otto Kolmsee war sozusagen arbeitslos. Über eine private Beziehung zu einem Steinacher Hausbesitzer konnte er eine Wohnung in Steinach anmieten und da begann das dritte Leben des Ausnahmemusikers Otto Kolmsee. Doch der Reihe nach.

Geboren im Jahre 1920 in Elbing, ehemals Hansestadt im Deutschordenstaat, lebten seine Eltern in der Katastrophe des Ersten Weltkrieges. Als junger Musikant im Alter von etwa 15 Jahren blies Otto bei den Stadtpfeifern die Posaune. Nach Schule in Elbing wuchs Otto als junger Mann in Zeiten der Hitlerdiktatur auf, musste als 20-Jähriger wohl zur Wehrmacht. Aus Erzählungen Ottos weiß der Verfasser dieses Beitrags, dass er mit der deutschen Wehrmacht am 14. Juni kampflos in Paris eingezogen ist. Vermutlich als Angehöriger des Musikkorps der Leibstandarte SS „AH“, welche im Juni 1940 nach Paris verlegt worden war, hat Otto wohl bei der Parade an der Champs-Élysées die Posaune geblasen.

Das zweite Leben des Otto Kolmsee

Nach dem Krieg suchte der 25-jährige Otto wie viele Militärmusiker Unterschlupf bei regionalen Musikgruppen, Otto bald bei Zirkuskapellen – schon 1946 als Posaunist beim Zirkus Apollo, dann beim Zirkus Hagenbeck. Dort feierte er 1959 das zehnjährige Jubiläum des „Schauorchesters Otto Kolmsee“, schließlich landete er 1969 als knapp 50-Jähriger beim Circus Krone in München und wurde Chef-Kapellmeister. Worin bestand dort laut Otto eine seiner Hauptaufgaben? „Die meisten internationalen Artisten und Künstler lassen sich heute eine speziell auf ihre Nummer zugeschnittene Musik komponieren oder von einem Arrangeur aus bekannten Melodien zusammenstellen.“ Dies konnte er auf meisterhafte Weise erledigen. Eine Bilderwand in seiner Steinacher Wohnung zeigte ihn etwa zusammen mit Caterina Valente.

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Trotz aller Erfolge wurde Otto gegen Ende der Siebzigerjahre mehr und mehr bewusst, dass das Ende der Zirkuskapellen unvermeidlich war: „Ich gebe den Zirkuskapellen vielleicht noch fünf oder sechs Jahre, dann hören wir bei uns nur noch Musikkonserven.“ Doch das Ende der Kapelle des Circus Krone kam schneller als befürchtet – nämlich Ende 1979. Otto war etwa 60 Jahre alt, als das Orchester des Circus Krone aufgelöst wurde. Aber Otto und seine Frau Elli hatten Glück. Über einen Hausmeister des Zirkus wurde ihnen im niederbayerischen Steinach eine Wohnung angeboten, welche sie tatsächlich im Jahre 1980 bezogen. Damit begann das dritte Leben des Otto Kolmsee.

Das dritte Leben des Otto Kolmsee

In Steinach gab es seit 1978 einen ambitionierten gemischten Chor, den Steinacher Singkreis, dem neben dem Singen auch überlieferte Tanzformen ein Anliegen waren. Auch waren im ganzen Landstrich viele Gesangsgruppen aktiv, besonders im Bereich des überlieferten Volksliedes. In Höslwang im Chiemgau fanden für junge Leute Musikfreizeiten statt, die von Franz Schötz auch in der traditionellen Art und Weise bayerischer Tanzmusik unterwiesen wurden.

Allerdings war eine Blasmusiktradition kaum mehr vorhanden, dagegen gab es zahlreiche Bands, welche der Jugend in Wirtshäusern Schlagermusik zum Tanz aufspielten. In diesem Umfeld sollte auf Bitten des Leiters des Steinacher Singkreises Otto eine Bläserformation aufbauen helfen. Und tatsächlich, im November 1980, also vor etwa 40 Jahren, begann Otto mit einer Handvoll Buben – Bernd, Sohn des Vorsitzenden des Steinacher Singkreises, Karlheinz, Karl, Sven-Torsten, Sören, Elmar und Willi. Schon zu Weihnachten 1980 stellten sich die Burschen mit zwei Weihnachtsliedern in der Weihnachtsfeier des Vereins vor. Im Juni 1981 gestalteten der Singkreis und eine von Otto zusammengestellte Bläserformation zur Schützenfahnenweihe die „Ländliche Festmesse“ von Jochen Langer. Otto hatte dazu das Arrangement gemacht.

Zum Festzug spielte die Jugendkapelle: In die weite Welt, Der Gartenzwerg, Wien bleibt Wien und Ja, wir san mit’m Radl da.

„Ein Sechser im Lotto für Steinach“

Dass mit Otto die Gemeinde Steinach einen Sechser im Lotto gezogen hatte, so der damalige Bürgermeister Josef Schneider von Steinach, sprach sich im Lande schnell herum. Einerseits suchten junge Menschen aus einer weiten Umgebung von Steinach, bei Otto Unterricht zu bekommen, andererseits streckten Vorstände benachbarter Vereine ihre Finger nach Otto aus. Für ihn war das Ansporn genug, aus diesen vielen Interessierten in den Achtzigerjahren große Bläserformationen zu bilden. Ein Beispiel ist die große Besetzung des Bläserchores beim Adventssingen 1982 in der Steinacher Kirche.

 

Dass das leitende Trio des inzwischen zum Musikverein Steinach-Münster umbenannten Vereins – Otto Kolmsee, Karl Penzkofer, Hans Sitzberger – mit dieser Entwicklung zufrieden war, belegt das Bild einer Wanderung auf den Hatzenberg.

Schließlich übernahm Otto im Jahre 1982 die Leitung der Blaskapelle Mitterfels, beim Trachtenverein d’Isartaler in Oberschneiding, ab 1992 die der Blaskapelle Donautal, blieb aber bis 1993 den Singbergmusikanten treu. Beim Trachtenverein d’Isartaler wurde Otto wohl zum ersten Mal mit den für unsere Region so typischen Zwiefachen konfrontiert. Ob er beim Spielen von „Unser oide Kath“ an die Caterina vom Circus Krone dachte? Die Konzerte, Werke, Tanzveranstaltungen, Wettbewerbe beim MON, Anleitung für Leistungsabzeichen aufzuzählen, würde jeden Rahmen sprengen. Vielleicht stellvertretend einige Bilder.

Jahrelange Arbeit mit regionalen Kapellen

Dass Otto nicht als Feuerwehrmann bei den verschiedenen Engagements einsprang, zeigt die jahrelange Arbeit bei seinen Kapellen: In Mitterfels war er bis 1996 als Dirigent tätig und übergab dann als 75-Jähriger an seinen Ziehsohn Jürgen Malterer, die Blaskapelle Donautal leitete er 13 Jahre und legte das Amt 2005 als 85-Jähriger nieder, bei den Trachtlern in Oberschneiding ging er viele Jahre in die Lehre in der Sparte überlieferte bayerische Volkstanzmusik, seine Singbergmusikanten leitete er bis 1993 mehr als 13 Jahre. Der Musikverein Steinach-Münster bedankte sich mit einem silbernen Taktstock, Pfarrer Gerhard Mass für die Unterstützung bei vielen kirchlichen Anlässen mit einer Urkunde, spaßeshalber mit einem Satz des „Tante negro“, wie Otto das „Tantum ergo“ betitelte.

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Das Vermächtnis des Otto Kolmsee

Zum 85. Geburtstag versammelte Otto zum letzten Mal die große Schar aktiver Bläser im Hof der Metzgerei Dinter in Mitterfels. Viele Erinnerungen aus Ottos überreichem Musikerleben, das er immer wieder mit vollen Zügen genoss, wurden ausgetauscht, Landrat Laumer hielt die Laudatio. Im Jahre 2007 im Alter von 87 Jahren verstarb Otto in Mitterfels. Eine unübersehbare Menschenmenge begleitete ihn auf seinem letzten Weg, im Jahre 2017 folgte ihm Elli nach.

In der Rückschau aus dem Jahr 2020 wird die Leistung des Otto Kolmsee besonders darin bestehen, dass er wohl an die Hundert Musikerinnen und Musiker in den Grundlagen ihres Instruments unterrichtet hat. Einige von ihnen wurden sogar Nachfolger in der Leitung der Blaskapellen oder kleinerer Gruppierungen.

Aus dieser Reihe ist wohl Jürgen Malterer hervorzuheben, welchen Otto schon mit 16 Jahren an die Musikakademie Marktoberdorf vermittelte. Dort erwarb Jürgen das Zertifikat des Staatlich geprüften Leiters im Laienmusikwesen. Bayernweit ist Jürgen bekannt als versierter Tenorhornist der Kapelle Josef Menzl.

Viele Jahre war auch Daniela Baumhof – ebenfalls Gewächs aus der Steinacher Zeit des Otto Kolmsee – Mitglied beim Menzl und begeisterte als Klarinettistin und als Donna Clara.

Die Nennung dieser beiden sollte aber keinesfalls die vielen hervorragenden Musikanten aus Ottos Schule in eine zweite Reihe stellen.

Diese, ja die ganze Region vom Gäu in Woid des Straubinger Landes, sind Otto zu großem Dank verpflichtet.

Karl Penzkofer

Quellen: Musikverein Steinach-Münster, Musikverein Mitterfels, Musikverein Donautal, Archiv Circus Krone, private Sammlung Claudia Schön

Bericht: Straubinger Tagblatt, 19.11.2021

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