Wie der Waldviertler nach Niederbayern kam

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Klaus Niedermeier aus Mitterfels hat die Leisten für einen besonderen Schuh entwickelt


Ne supra crepidam sutor iudica­ret, schreibt Plinius der Ältere in einer Anekdote aus der Antike. Auf jene lateinischen Worte soll ein Spruch zurückzuführen sein, der bis heute im Sprachgebrauch Verwen­dung findet: Schuster bleib bei dei­nen Leisten. In besagter Anekdote heißt es, Apelles, der bedeutendste Maler des antiken Griechenlands, habe sich gerne hinter seinen Wer­ken versteckt, um die Kommentare der Betrachter zu erhaschen. Einst soll in einer solchen Situation ein Schuster eine fehlende Öse an einem Schuh im Gemälde des Apelles be­mängelt haben. Der Künstler korri­gierte folglich sein Bild. Doch der Schuster hatte erneut etwas auszu­setzen. Diesmal an den Schenkeln. Daraufhin habe Apelles ihm entgeg­net: Was über dem Schuh ist, kann der Schuster nicht beurteilen.

 

Hört man Klaus Niedermeier län­gere Zeit zu, wenn er über seinen Beruf und seine Geschäfte spricht, wirkt der antike Spruch des großen Apelles obsolet.

Der Orthopä­dieschuhmachermeister aus Mitter­fels im Landkreis Straubing-Bogen kann durchaus beurteilen, was über dem Schuh so alles los ist. Nieder­meier ist eine Art Equilibrist, der zwischen bodenständigem Hand­werk und dem Wissen über die Phy­siognomie des menschlichen Kör­pers balanciert.

Die Evaluation dessen, was das Tragen eines gewissen Schuhwerkes für höher gelegene Körperpartien bedeutet, war in der Antike wohl auch nicht notwendig. Denn von hochabsätzigen Sandalen ist nichts überliefert. Heute sieht das mensch­liche Beinkleid freilich anders aus. Hoch ist hip. Und schlecht für den Körper. Denn wenn der Absatz eines Schuhes höher als einen Zentimeter ausfällt, ist das einfach ungesund, sagt Niedermeier. Er ballt seine bei­den Hände zu Fäusten, stößt die oberen Fingerknochen der beiden Hände flach gegeneinander und öff­net sie wieder - bis nur noch die mittleren Fingergelenke aneinan­derstoßen. Mit der kleinen Finger­akrobatik mimt er, wie die Hüfte bei hohen Absätzen nach vorne verlagert wird und die einseitige Belas­tung am Knorpel zehrt. Hüftmord durch hohe Hacken.

Da wären aber auch noch die fili­gran anmutenden Ballerinas oder die bei Männern wie auch bei Frau­en gleichermaßen als die Krönung moderner sommerlicher Modeform geltenden Flipflops oder die wei­chen, bequemen, bunten Plastik­Garten-Clogs oder die zeitweise so beliebten und gar als gesund gelten­den Birkenstock-Sandalen. "Wirf sie alle weg", sagt Niedermeier und zählt eine ganze Reihe ungesunder Auswirkungen des Tragens derarti­ger Schuhe auf den Muskelapparat des menschlichen Körpers auf.

Wieder spielt er mit den Händen Fuß: Er krallt die Finger seiner ei­nen Hand in die Innenseite seiner anderen. Wenn der Fuß im Schuh keinen Halt hat, so seine Argumen­tation, krallen sich die Zehen kräftig in die Sohle - spürbar soll das dann hinauf bis zu verspannten Muskeln am Haaransatz des Hinterkopfes sein. Niedermeiers Devise: Ein guter Schuh ist flach und wird geschnürt.


Ein halber Niederbayer aus Niederösterreich

So wie der Waldviertler. Dieser Schuh, benannt nach der öster­reichischen Region, in der er herge­stellt wird, fällt schon auf den ersten Blick als kein handelsüblicher Null­achtfünfzehn-Treter auf - nicht nur seiner absatzlosen Beschaffenheit und der ausgefallenen Namen we­gen: Eisbär, GehGuTiGut, Traktor oder Tramper heißen einige Modelle des Waldviertlers. Haute-Couture ­geeignet ist er zwar nicht - dazu erinnert seine Form etwas zu stark an einen typisch, bayerischen Haferlschuh aus dem Trachtenmo­dengeschäft.

Doch das wirklich Besondere die­ses Gehwerks, sagt Niedermeier, stellt die Art seiner Herstellung dar. So wird der Schuh im Gegensatz zur heute industriell üblichen Ferti­gungsweise nicht einfach nur ver­klebt, sondern noch richtig aufwän­dig genäht. "Der hält zehn Jahre", sagt Niedermeier. Um die 180 Euro kostet ein Paar des Waldviertlers. Nicht gerade billig. "Aber auch nicht wirklich teuer. Denn für einen genähten Schuh aus echtem Rinds­- und Kalbsleder ist das nicht viel."

Doch warum rührt Niedermeier so kräftig die Werbetrommel für ein Produkt aus Niederösterreich ? Weil der neueste Schuh aus den Wald­viertler Werkstätten praktisch ein halber Niederbayer ist. Der Mitter­felser Handwerksmeister hat die Leisten für die zweite Generation der Waldviertler-Schuhe entwickelt und produziert. Seit einigen Mona­ten wird der "Flex 2", so die firmen­interne Bezeichung für das Schuh­-Grundmodell, in geringer Stückzahl in Österreich produziert.


„Und ich wusste, das ist ein außergewöhnlicher Schuh"

Es war ein Blick auf die Füße eines Kunden, der eines Tages über die Schwelle seiner Ladentür trat, erinnert sich Niedermeier: "Und ich wusste, das ist ein außergewöhnli­cher Schuh, den der da trägt." So wugde der Geschäftsmann auf das Fußkleid aus dem Nachbarland auf­merksam. Die Neugier in ihm war geweckt. Auf ganz unkomplizierte Art stellte er schließlich vor einigen Jahren den Kontakt zum Unterneh­men GEA her, das die Waldviertler Werkstätten betreibt: Niedermeier stieg ins Auto, fuhr Richtung Schrems nach Niederösterreich, klopfte an die Tür der Waldviertier-­Produktion und sah sich um. Dort aber plagten die Werkstättenbetrei­ber immer wieder technische Prob­leme. Niedermeier unterbreitete ih­nen Vorschläge, wie man es besser machen könne. Man kam ins Gespräch - und vereinbarte schließlich die Entwicklungszusammenarbeit.

Die Firma GEA, die neben Schu­hen auch Taschen, Möbel und Ma­tratzen herstellt, geht auf ein einzel­nes Geschäft in der Wiener Josefs­stadt zurück. Der österreichische Unternehmer Heinrich Staudinger hat es dort vor rund 25 Jahren eröff­net. Es begann ursprünglich nur mit Schuhen. Später kamen Stühle da­zu, dann Futons und Matratzen und schließlich Betten und Möbel. In­zwischen gibt es knapp 30 GEA-Lä­den in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Der Anspruch des Unternehmens bei sämtlichen Produk­ten lautet: nur saubere, ökologische Materialien zu verwenden.


Ein Arbeitsplatzprojekt im schwachen Raum

Die Waldviertler Schuhwerkstatt selbst wurde 1984 unter Österreichs Sozialminister Alfred Dallinger in der wirtschaftlich schwachen Regi­on als Arbeitsplatzprojekt gegrün­det. Dallinger war ein Freund von Betrieben mit Arbeitermitbestim­mung. "Das Projekt war beladen mit vielen sozialen Wünschen, die letzt­lich auch teuer und ohne Unterstüt­zung nicht möglich waren", so GEA ­Chef Heinrich Staudinger. Anfang der 90er-Jahre - GEA zählte inzwi­schen zu den bedeutendsten Wald­viertler-Abnehmern - kaufte Stau­dinger die Schuhwerk statt auf. Das Geschäft wurde ausgebaut. Heute arbeiten dort rund 130 Mitarbeiter. "Wir sind stolz darauf, den Standort im Waldviertel bis jetzt zu halten, noch dazu, wo in ganz Niederöster­reich alle Schuhfabriken zugesperrt haben", heißt es bei GEA.

Für Niedermeier bedeutet die Zu­sammenarbeit mit den Niederöster­reichern viel: Er sieht darin sogar seine geschäftliche Zukunft liegen. Langfristig will er seinen Betrieb, in dem derzeit sechs Mitarbeiter be­schäftigt sind, unabhängiger von der Orthopädie machen. Grund für die Neuausrichtung sind die immer ge­ringer werdenden Margen. "In die­sem Bereich sinken die Preise seit Jahren kontinuierlich. Es ist ein ziemlich hartes Geschäft gewor­den", sagt der Orthopädieschuhma­chermeister, der diese Entwicklung unter anderem auf Einsparungen bei den Krankenkassen zurückführt. Entsprechend gering ist heute die Zahl seiner Kollegen in Bayern: Um die 300 Meister dieses Handwerks, schätzt Niedermeier, gibt es noch. Ein Beruf, der langsam ausstirbt, weil die Wirtschaftlichkeit weg­bricht.

Obwohl Niedermeier erst am An­fang des Umbaus seines Geschäftes steht, ist er zuversichtlich: 1000 Paar der Flex-2-Modelle will er heu­er in Mitterfels verkaufen. 2012 dann schon um einige Paar mehr.


 

 Bericht und Bild : Hannes Lehner ( SR-Tagblatt, 23.08.2011)