Vor­trag „Heil­wir­kung von Mär­chen“

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„Märchen aus aller Welt – Märchen aus‘m Woid“ heißt ein Projekt, das die Marktgemeinde Mitterfels, der Bayerische Wald-Verein, Sektion Mitterfels, der Förderkreis Öffentliche Bücherei und der Verkehrs- und Kulturverein heuer veranstalten.

Beginn war vor kurzem mit einem Vortrag über die Heilkraft von Märchen.
Für das Projekt geplant sind Märchen-Lesungen, auch aus dem Bayerischen Wald, eine Kunstausstellung, eine Märchenanimation, ein Märchendinner und Theater, ein literarischer Workshop und ein Abend mit dem Märchenerzähler Machander, um das Thema „Märchen“ mit seinen vielen Facetten zu beleuchten. Im Schaukasten des Rathauses wird in dieser Zeit eine kleine Ausstellung zu sehen sein. Neben der Bibel sind die „Grimm’schen Märchen“ das am meisten gelesene Buch aus Deutschland. In Märchen stecken Lebenserfahrung und Lebensklugheit vieler Generationen. Märchen sind keine reine Kinderliteratur, sondern eine lohnende Lektüre für alle Altersstufen. Sind Märchen eine Lebenshilfe, die auch für die heutige Zeit passt?

 

Darauf Antworten zu finden ist eine Aufgabe des Märchenjahrs, so Wolfgang Hammer, Initiator des Märchenjahres. Als nächste Veranstaltung findet am Dienstag, 15. Mai, eine Märchenlesung mit Diskussion statt (siehe ausführliche Ankündigung unten). Hammer setzte in seinem Vortrag über die Heilkraft der Märchen und dem provokativen Titel „Damit ich dich besser fressen kann“ einen ersten Schwerpunkt zum Märchenjahr. Ein Abend, der nicht nur umfassend über Märchen und ihre Hintergründe informierte, sondern den zahlreichen Gästen im Haus der Begegnung einen kurzweiligen Abend bescherte. Eine kleine Band mit Toni Niedermayer (Akkordeon), Florian Murer (Contrabass), Celina (Gitarre) und Nastasja (Gesang) sorgte mit dem eigens gegründeten Märchenchor aus Migrantenkindern für einen vergnüglichen Musik-Rahmen des Abends. Abschließend bewirtete das Märchenteam die Gäste mit Hänsel-Gretel-Brot und Pfefferkuchen.

Hammer definierte Märchen so: Die Wirklichkeit wird aufgehoben, mentale Grenzen werden durchbrochen, Utopien erscheinen verwirklichbar, Standesgrenzen sind bedeutungslos, Wunder selbstverständlich. Der Vortrag begann mit dem wohl bekanntesten orientalischen Märchen von 1001 Nacht, eine Märchenerzählung zum Zweck des Überlebens. Märchen können Vorbilder sein für ein gelungenes Leben. Das Befreiende und Heilsame liegt in der Aufhebung der Wirklichkeit. Märchen zeigen Möglichkeiten des Lebens auf, Sympathieträger sind meist die Armen und Schwachen.

Nach einem kleinen Exkurs über die Geschichte der Brüder Grimm, über die Unterschiede von Volks- und Kunstmärchen, über die Wirkung von Heiligenlegenden, kam Hammer am Beispiel von „Hänsel und Gretel“ auf die heilsame Wirkung des Märchens zu sprechen: „Eine Initiationsgeschichte, gut und böse sind erkennbar, die Kinder müssen Prüfungen bestehen, um als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu gelten. Märchen wurden aus moralischen Gründen erzählt, ein von der Mutter vorgelesenes Erziehungsbuch. Aber nicht selten verherrlichten Märchen auch Grausamkeiten, erklärte Hammer. „Menschfresserei zieht sich als Motiv durch viele Geschichten und sind schädlich für Kinder, weil sie zu Grausamkeiten auffordern“. Hier gab es Einspruch von Herbert Becker: Im Gegensatz zu zahllosen Morden in TV-Krimis, die schon Grundschulkinder sehen, haben Märchen eine erzieherische Wirkung, weil immer das Gute siegt und die Kinder sich beim Zuhören ihre Bilder im Kopf selbst machen. Auch analysieren Kinder die Märchen nicht, meinte Becker. Diffuse Ängste werden abgeleitet, ein schwacher Held wird stark, das Kind kann sich identifizieren. Auch regen Märchen die Fantasie an, wichtig in einer Zeit des eklatanten Mangels an Fantasie.
Dem stellte Hammer „Heilung durch Liebe und Emanzipation“ im Märchen Dornröschen gegenüber. Dazu sang der Märchenchor das Dornröschenlied und Helma Greß zitierte das Gedicht „Mädchen pfeif‘ auf den Prinzen“ (Josef Reding). Es ging um Emanzipation, ein selbstbestimmtes Leben, um weibliche Kampfkraft. „So können wir Märchen als Basis ansehen, die den Menschen angesichts seiner belasteten Existenz in der Welt nicht in Hoffnungslosigkeit versinken lässt, sondern ihn von Geburt bis zum Tod begleitet und mit der Hoffnung auf ein schöneres Leben versorgt. Diese Hoffnung auf ein gutes Ende nährt eine optimistische Lebensschau“, schloss Hammer.

Bericht und Bilder : erö (SR-Tagblatt, 14.5.2018)